TEXTE von ERNST HAGER


Oktober 2013

Wenn ich male, erzähle ich.
Wenn ich erzähle, male ich.
Kunst ist Begegnung
und gestaltet das Sein.


März 2013

"aus meinem Garten" - neue Bilder

Manchmal ist der Blick in den Rückspiegel wie ein Klassentreffen.

Florian Illies hat mit seinem Buch: "1913 - der Sommer des Jahrhunderts"
ein ganz besonderes Werk vorgelegt.

Die Gedanken zahlreicher Künstler und Künstlerinnen, aus dem März 1913,
sind so frisch und erfrischend, als hätte sie jemand gestern ausgesprochen:

Die Frage ist "was machen wir mit Rainer Maria Rilke, er hat Schnupfen."
Franz Kafka schreibt an Felice seine Autobiographie in vier Worten: "ich
noch immer unentschieden"
Franz Marc sattelt seine blauen Pferde und Else Laska-Schüler besteigt sie
als Prinz Jussuf.
Georg Trakl sehnt sich nach dem Tag, an dem die Seele in diesem Körper nicht
mehr wohnen will.
Robert Musil wohnt in Wien im dritten Bezirk, Untere Weißgerberstraße 61. Er ist
ein Mann mit sehr vielen Eigenschaften.
Marcel Proust schreibt nach einer langen Betrachtung des Sankt-Anna-Portals
von Notre Dame: "Seit acht Jahrhunderten sei da eine sehr viel reizvollere
Menschheit versammelt als diejenige, mit der wir verkehren."

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, lebe ich mit meinen Schwestern und
Brüdern in meinem Garten und versuche sie in meinen roten Bildern zu würdigen.





Bildung braucht Ruhe, wie auch die Kunst Ruhe braucht.
Wir müssen dem Denken Raum geben,
damit die innere Kraft ins Bewußtsein kommen kann.
Das ist Arbeit.
All die Betriebsamkeit und Getriebenheit unserer Arbeitswelt
und der Bildungseinrichtungen führen die Menschen ins "burn out".
Wir brauchen Zeit für den Müssiggang.
Wir brauchen Zeit, in der der Geist frei für Neues sein kann.
Meine roten Bilder sind eine Einladung zum verweilen,
zum sich sammeln und die Energie der Farbe aufzunehmen.

e.h., Februar 2012





Bilder hören

Es müsste eine Radiosendung geben in der Bilder hörbar gemacht werden.
Dabei soll Malerei für das Ohr sichtbar gemacht werden. Dazu braucht es
bilderreiche Texte und Klänge, die innere Bilder in Schwingung bringen.
Ich denke an die Sendung „Gedanken für den Tag“.

Musik: Franz Schubert

Die weiße Leinwand ruht und wirft das Licht unverbraucht zurück.
Der erste Pinselstrich, die Farbe berührt das Licht und schwingt kindlich lachend
im weißen Raum. Das Schwingen und Leuchten verlangt nach einem Rhythmus.
„Die Natur ist die Mittlerin des Denkens“, schreibt Ralph Waldo Emerson in seinem Büchlein Natur und das Licht ist ein Teil der Natur. Im Licht überschreitet die Farbe die Grenze vom unsichtbaren zum sichtbaren. Eine zweite Farbe folgt und eine dritte. Drei Farben schwingen im Licht und bilden die Form. Farbe und Form betrachten wir als Einheit, als das Zusammenwirken von Geist und Materie. So entstehen manchmal Bilder, die nach Jahren und Jahrhunderten Augenmenschen zum Nachdenken und zum Sprechen verhelfen.

Mit Sicherheit hat der Mensch sein Bewusstsein durch Bilder entwickelt. Am Anfang war das Bild, um über das Geistige reden zu können. Der Mensch hat sein „Nach-Denken“ durch Bilder in Sprache übertragen.

Ja vielleicht ist die Entwicklung der Sprache unmittelbar mit der Entwicklung der Bilder erfolgt. Wir wissen es nicht. Was wir wissen und was wir sehen ist die Tatsache, dass vor über 30.000 Jahren Menschen ihr Denken über die Welt die sie kannten bildhaft darstellten.

Die Felsmalereien sind wohl die ältesten Zeugnisse über das menschliche Bewusstsein, auch wenn wir annehmen können, dass Homo sapiens schon vorher Bilder gestaltet hat.

Salvador Dali (1904 – 1989) schreibt: „Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht bis zur Erschöpfung das Pferd meiner Phantasie reite. Die Wahrheit ist: ich bin nichts anderes als eine Registriermaschine, die von meinem Unterbewussten, von meinen Träumen, Visionen und all den irrationalen Erscheinungen einer obskuren und sensationellen Welt angetrieben wird.

Mein Bestreben in der Malerei ist es, meine irrationalen Gedanken, die meiner Phantasie entspringen, realistisch darzustellen, so dass die Welt meiner Phantasie ebenso klar erkennbar wird wie die Realität der äußeren Welt.“

In der Höhle von Lascaux wird ein Wesen dargestellt, welches halb Mensch und halb Tier ist. Das ist eine Kombination sozialer und biologischer Denkweisen, die den Homo sapiens befähigte, sich als Teil der Evolution zu betrachten.

Wir sind ja nur einen halben Schritt vom Tierreich zur Seite gerückt und haben durch die Kunst Bewusstsein über unser Sein erlangt.

Somit ist bis heute die Künstlerin, der Künstler jene Figur in der Gesellschaft, die auf diese kleine Abweichung in der Evolution hinweist.

Meine Hand ist nicht bereit den Dolch zu ziehen, sie ist aber dazu da ein Bild für dich sichtbar zu machen. Auch wenn die Kunst Kriege nicht verhindern kann, die Künstler vermögen ihre Hände anders einzusetzen. Dies hat die Menschheit so lange überleben lassen. Die Kunst ist so betrachtet ein Begleiter der Evolution, ein Werkzeug für den Frieden in der Welt.


Die Ägyptischen Mumienportraits:

Es war den Menschen bewusst, dass sie nur für eine kurze Zeit als sinnlich wahrnehmende Wesen die Erde bewohnen dürfen.

Damit ihr Bild erhalten bleibt und über die Zeit hinaus wirkt haben sie Künstler beauftragt ihr Aussehen zu verewigen. Nun ja, verewigen klingt etwas hoch gegriffen. Man hat versucht mit Hilfe der Malerei aus dem Fluss der Zeit heraus zu treten und zeitlos zu werden. Wir machen dies Tag für Tag mit unserem Fotoapparat.

Diese Portraits welche auf Holztäfelchen gemalt wurden und in etwa die Gesichtsgröße besaßen, hat man nach dem Ableben über das Gesicht der Vergänglichkeit gelegt und dadurch das Antlitz der Person über die Zeit hinaus erhalten. So ist es möglich, einer vor Jahrtausenden gelebten Persönlichkeit in die Augen zu blicken.

Kunst als Mittel zum Überleben oder zum Weiterleben. Ja und weiterleben tun diese Mumienportraits. Wir können sie in den Museen bewundern und unser Bewusstsein an der Geschichte schärfen.

Die Malerei vermag so gesehen über den Tod hinaus zu wirken und einen Augenblick des Lebens zu bannen.

Ich habe einige dieser Mumienportraits vor Jahren im Louvre gesehen und vor kurzem wieder bei einer Ausstellung zum hundertsten Todestag von Paula Modersohn Becker. Nie zuvor war mir so bewusst, dass die Malerei gegen den Tod arbeitet. Die Malerei arbeitet für das Überleben. Dies haben sowohl die Künstler in Ägypten als auch die Expressionisten gewusst.

Paula Modersohn Becker hat in ihren Bildern diese Zeitschranke überwunden und zeitlose Portraits gemalt. Ihre Bilder knüpfen den Faden der Überlebensdarstellung weiter. So begegnen wir den Kindern von Worpswede und sehen in ihren Augen die Mühen des Alltäglichen. Festgehalten und sichtbar gemacht mit Farbe, damit wir hundert Jahre später sehen und erkennen, dass unser Sein vergänglich ist, unsere Bilder aber zeitlos bleiben.

Wir sehen aus der Welt in der wir leben die Welt in der unsere Ahnen gelebt haben. Jede Generation hat ihre Bilder und jede Generation interpretiert die Bilder ihrer Väter und Mütter auf ihre Weise.

Ein Grundproblem ist es, zu sehen und gelten zu lassen was ins Auge kam und somit in den Geist. Der Geist und/oder das Denken macht aus dem Gesehenen etwas zum Weiterspielen.

So setze ich mich morgens ans Felsfenster und gehe mit Peter Handkes Beobachtungen durch den Tag:

„Ich sehe, ich erkenne: Es hilft nur Teilen, es hilft nur Zusammen-Halten. Allein geht es nicht. Allein darf nicht sein.“


Bindemittel und Pigment:

Das Licht braucht, um in ihrer Buntheit augenscheinlich zu werden ein Gegenüber, eine Resonanz. Der Maler benutzt Pigmente um das Licht bewusst zu lenken. Er lenkt das Licht und macht damit bewusst was im Augenblick notwendig ist. Durch das Pigment vermag der Künstler das Licht in eine ganz bestimmte Richtung zu lenken, so dass der Betrachter Bilder und Gedanken wahrnehmen kann.

Pigmente sind Elemente, die das Licht in ganz besondere Richtungen zerlegen. Da werden rote, gelbe, blaue und alle Mischungen und Abstufungen sichtbar und erlebbar. Farbe muss erlebt werden, damit sie in uns etwas bewirkt. Das Sehen, Wahrnehmen und Berührtwerden hängt unmittelbar mit dem Augenschein zusammen. Unser Auge vermag die Welt farbig wahrzunehmen. Damit aber die Farben dort bleiben, wohin sie ein Künstler gesetzt hat, braucht es Bindemittel. Somit sind die Bindemittel zum Namensgeber der verschiedenen Maltechniken geworden. Die Farbe, also das Pigment, ist das eine und der Binder ist das andere. Über die Jahrhunderte hinweg haben die Künstler verschiedene Bindemittel eingesetzt. So hat man in der Ägyptischen Malerei vor allem Wachs – Enkaustik zum Binden der Pigmente verwendet. Im Mittelalter wurde mit Tempera gemalt und seit dem 15.Jahrhundert verwendet man trocknende Öle.

So sind für den Maler Pigment und Bindemittel wie für den Musiker Instrument und Klang untrennbar. Je nach dem, welches Instrument er verwendet, so erscheint der Klang. Wir sprechen ja auch vom Farbton, und dieser Ton entsteht durch den unterschiedlichen Farbauftrag. Ob uns die Farbe leise und zart wie im Aquarell begegnet oder laut und dröhnend wie in manchen Acrylbildern unserer Zeit. Der Ton macht die Musik, und vor allem auf welchem Instrument er gespielt wird.

Auch wenn es den meisten Menschen nicht bewusst ist, unser Organismus reagiert auf Farben, so dass wir behaupten können, Farben beeinflussen unser Wohlbefinden. Besonders in der gegenstandslosen Malerei reagiert der Mensch immer wieder mit der Aussage „gefällt mir oder gefällt mir nicht“. Ohne nähere Begründung spricht er oder sie das aus, was im Inneren und meist unreflektiert tätig ist.

Ich habe immer wieder Bilder getroffen die mich spontan berührt und zum Verweilen eingeladen haben, andere konnte ich kaum einen Augenblick lang ertragen. Oft habe ich dann beim Nachdenken die Ursache in der Farbe gefunden. Jeder Mensch reagiert auf Grund seiner Persönlichkeit anders auf Farben. Und meistens suchen wir das, was uns fehlt. Der Hitzkopf sucht im Blau die Kühlung oder den Ausgleich, der Antriebslose findet im Rot eine Energie zum Weitermachen. Der Morgen ist für den einen kühl und frisch, für den anderen blutrot und voller Tatendrang für den Tag. Maler haben immer schon mit Pigment und Bindemittel auf die Befindlichkeit der Menschen gewirkt.

Der Maler Johannes Itten schreibt in seinem Standardwerk „Kunst der Farbe“ folgenden Satz: „Farben sind Strahlungskräfte, Energien, die auf uns in positiver oder negativer Weise einwirken, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht“. Und Goethe spricht davon, dass „Farben Taten des Lichts“ sind.


Paul Klee und Bilder Immermehr

Auf dem Weg der Abstraktion hat Paul Klee eine große Rolle gespielt. Seine Vorstellung von einem „Schöpfer-Künstler“ hat mit Sicherheit die SchülerInnen am Bauhaus, und nicht nur diese, geprägt.

Wer aber Schöpfer ist, trägt auch Verantwortung gegenüber seinen Geschöpfen. Bei Klee ist ein genaues Werkverzeichnis ab 1911 der Beweis dafür, wie ernst er seine Schöpfungen genommen hat. Er gewichtet nicht, sondern nimmt zur Kenntnis.

Klees Werkverzeichnis ist ein bewusstes Hinschauen auf das, was die einsame Künstlerseele schafft. Es ist die Anerkennung der schöpferischen Energie die in uns beachtet sein will.

Fenster und Palmen aus dem Jahr 1914 trägt zum Beispiel die Nummer 59. Klee hat also schon 59 mal ja gesagt zu einer Schöpfung, zu einem Bild im Jahr 1914, bevor dieses Bild im April bei seiner Reise nach Tunis entstand.

Wer so die Arbeit schätzt, die durch ihn entsteht, darf getrost wenig später sagen: „Die Farbe hat mich, ich bin Maler.“

Ich betrachte dieses Aquarell und sehe durch die verstaubten Glasscheiben die Palmen im Morgengrau.

Da kommt mir ein Gedicht von Marie Therese Kerschbaumer in den Sinn:


Bilder immermehr

es war einmal ein könig blau
der wohnt´in einem bilde rot
das hing an einer wand weiß
in einem zimmer ungefähr

da saß ein mädchen lieblos
vor der uhr zeitlos
an einem tag atemblau
in einem kleide windrot

da trat der könig königblau
aus dem bilde bildrot
von der wand wandweiß
in dem zimmer ungefähr

nahm das mädchen lieblos
vor der uhr zeitlos
an einem tage atemblau
in dem kleide windrot

aus dem zimmer ungefähr
und er ließ sie nimmermehr

trat mit ihr ins bild rot
an der wand wandweiß
seitdem herrscht der königblau
neben ihm die märchenfrau

in dem kleinen windrot
durch der tage atemblau
über die zeit nimmermeher
in dem bilde immermehr                                   (Bukarest 1968)


In dem Bilde immermehr möchte ich noch wandern und schauen und mich meiner
schöpferischen Energie nähern.

Durch Paul Klee habe ich gelernt den kleinen Augenblick zu achten, jenen Ausblick aus dem Fenster durch den ich die Unendlichkeit der Schöpfung ahnen kann.


Dubuffet und die Kunst der Primitiven

Zahlreiche Künstler sind begeistert und fasziniert von der Kraft und der Unmittelbarkeit die von Kinderzeichnungen ausgeht. Picasso sagte einmal sinngemäß: „Ich suche zeitlebens das Kind in mir.“ Paul Klee hat mit Begeisterung die Zeichnungen seines Sohnes gesammelt und die unmittelbare Kraft der kindlichen Ausdrucksform studiert.

Jeder Mensch zeichnet und malt sich ins Leben, dabei werden das Bewusstsein und das Denken geschult. Aber nicht nur Kinderzeichnungen haben Künstler begeistert, auch die künstlerischen Ausdrucksweisen von geistig und psychisch Kranken fanden Eingang in die Welt der Kunst. So hat Dubuffet diese rohe Kunst als Art Brut bezeichnet. Darunter versteht er Kunstwerke, die unmittelbar und ohne akademische Bildung aus den Tiefen der Menschen hervorbrechen.

Schon Joseph Beuys hat darauf hingewiesen, dass in jedem Menschen ein künstlerisches Potential wirkt und nur darauf wartet, dass es beachtet wird. Auf der Suche nach dem befreiten Prometheus habe ich mit altersverwirrten Menschen bildnerisch gearbeitet und feststellen dürfen, dass diese sehr oft die Ausdrucksweise der Kinderzeichnung benutzen. Es ist erstaunlich wie sicher und klar Menschen mit Demenz diese frühen Bilder wiedergeben können.

Leider wird die schöpferische Energie der BewohnerInnen in den Altenpflegeheimen viel zu wenig gefördert. Dabei würde durch das schöpferische Arbeiten einiges aus den tiefer liegenden Bewusstseinsschichten der Menschen zu Tage befördert. Damit könnte auch die Biografie, also die Lebensgeschichte transparenter werden, was wiederum den Pflegealltag erleichtern würde.

Wenn Lévi-Strauss mit guten Gründen davon spricht, dass sich „die Menschheit heute mit der Monokultur begnügt“, so zeigt sich in den künstlerischen Ausdrucksformen von Kindern, altersverwirrten und psychisch beeinträchtigten Menschen ein breites, buntes Feld gegen die Monokultur. Wir müssen aufhören von der „Hochkultur“ und dem „Primitiven“ zu reden. Es ist notwendig den Blick auf die Vielfalt der Kommunikationsmöglichkeiten der Menschen zu richten und neben der rationalen Weltsicht auch die irrationale Betrachtung unserer Mitwelt zuzulassen. Nur so werden wir unseren Horizont erweitern und die Aufgaben einer sehr komplexen Welt einigermaßen bewältigen. Nur wer bereit ist über den Tellerrand hinaus zu blicken wird feststellen, dass die Erde keine Scheibe, sondern eine Kugel ist. Eine Kugel auf der sich wunderbar tanzen lässt.


Emil Nolde „Joseph erzählt seine Träume“ (1910)

Tao Chi schrieb: „Malen ist das Ergebnis der Empfänglichkeit der Tinte: Die Tinte öffnet sich dem Pinsel; der Pinsel öffnet sich der Hand; die Hand öffnet sich dem Herzen – gerade so, wie der Himmel alles erzeugt, was die Erde hervorbringt: Alles entsteht im Empfangen.“

Einer der träumt wird nicht ernst genommen und vor allem wird ihm der Zugang zur Realität abgesprochen. Ich stehe vor einem Bild von Emil Nolde und sehe wie hier einer im rot-blau karierten Hemd von seinen Träumen berichtet. Es handelt sich um Joseph der den Brüdern seine Träume erzählt. Alles entsteht im Empfangen, so auch der Traum. Für uns ist der Traum seit Sigmund Freud eine Möglichkeit über unser Unterbewusstes nachzudenken, im Alten Testament hat man Träume meist als Mitteilung Gottes verstanden und als ernstzunehmende Botschaften gewertet. Wieso, so frage ich mich, ist aber der Träumer Joseph von seinen Brüdern verfolgt und später einer ägyptischen Karawane verkauft worden? Wird der Traum eines Knaben als Bedrohung erachtet, während die Träume vom Wirtschaftswachstum und Kapitalzuwachs durch Expansion als Botschaft Gottes gewertet werden?

Nolde hat im Laufe seines Malerlebens immer wieder einmal biblische Themen aufgegriffen. Wer kennt nicht das Bild von der Geburt Christi, wo die Maria das Kind wie eine Hostie den Betrachtern entgegenhält. Alles entsteht im Empfangen und im Weitergeben des Empfangenen. Die Mutter gibt das Kind, das sie empfangen hat an die Welt weiter. Der Künstler gibt die Ideen die er/sie empfangen hat den BetrachterInnen weiter.

Ich stehe aber vor einem Bild das Nolde mit kräftigen Farben und dicken Pinselstrichen gemalt hat. Es zeigt neben dem Clown Joseph seine Brüder wie Fratzen des Neides. Will Nolde uns darauf verweisen, dass der Träumer den Neidern ausgesetzt ist und, dass der von „Gottesgnaden“ die Ausgrenzung erfährt?

Joseph, ein Clown, ein Träumer der seine Brüder mit seiner Erzählung sichtlich verstört. Im linken Teil des Bildes ist aber eine Gruppe von Menschen zu erkennen die ich nicht so recht dechiffrieren kann. Eine Dame hält sich mit beiden Händen die Brüste hoch, ein Mann im blauen Gewand spricht zu dieser Gruppe und rings herum sind rätselhafte Gesichter. Dieses Bild ist 1910 entstanden und 1943 schreibt Nolde: „Ausflüge ins Traumhafte, ins Visionäre, ins Phantastische stehen jenseits von Regeln und kühlem Wissen. “ Der Träumer wird aber von der anderen Seite vom Pharao zum Berater auserkoren. Joseph ist der, der die Träume deuten kann. Er ist ins „Zwischenreich“ vorgedrungen und betrachtet wie der Künstler Nolde die Welt aus der Distanz. Ich trete einen Schritt zurück und bade meine Gedanken in den Farben dieses Bildes.